KONSUMBRÖTCHEN
 
 

Je nach Einkaufsort konnten auch die Bezeichnungen HO-Brötchen oder Kaufhallenbrötchen verwendet werden.

Gemeint waren hier nicht Brötchen, die irgendwann verkonsumiert werden sollten, das galt ja schließlich für alle Backwaren dieser Art. Nein, es handelte sich um Brötchen, die nicht in privaten Bäckereien gebacken und anschließend frisch verkauft wurden, sondern um solche, die in Großbäckereien schon viele Stunden vor dem Verkauf hergestellt und langwierig auf die einzelnen Verkaufsstellen verteilt worden waren. Dabei ging natürlich jegliche Frische verloren. Entweder waren sie weich und labberich und knusperten kein bisschen mehr oder waren hart und trocken. In jedem Fall konnte man sie ohne Belag so gut wie nicht herunterbringen, der Bissen blieb einem förmlich im Hals stecken.

Obwohl ein Bedarf nach frischen Brötchen nicht nur morgens vorhanden war, durfte ein privater Bäcker, selbst wenn er es aus Geschäftstüchtigkeit heraus gewollt hätte, nicht den ganzen Tag über frische Brötchen nachproduzieren. Da fast alle Menschen berufstätig waren, hatten deshalb nur die wenigsten die Gelegenheit oder Zeit, sich morgens ihre Brötchen vom Privatbäcker zu holen. Und samstags war es so, dass schon eine Stunde nach Öffnung des Bäckerladens die frischen Brötchen ausverkauft waren. Wer nicht rechtzeitig eine Bestellung aufgegeben hatte, musste sich früh anstellen und ging, wenn er Pech hatte, dennoch leer aus.

Für die Bewohner der Plattenbausiedlungen an der Peripherie der Großstädte war der nächste private Bäcker meist viel zu weit entfernt. Wer sich also unbedingt von Brötchen ernähren wollte, war im Regelfall auf die Backwaren der Großbäckereien ange- wiesen. Viele hatten sich über die Jahre hinaus so daran gewöhnt, dass sie nach der Wende ihre Konsumbrötchen sogar vermissten.

Der Schriftsteller Hermann Kant machte sich in seiner Erzählung „Der dritte Nagel“ über das alltägliche Brötchenproblem lustig. Der Ich-Erzähler hatte sich mühselig bei einem Privatbäcker das Privileg erkämpft, frische Brötchen aufgehoben zu bekommen, fällt jedoch wieder in Ungnade.