KLASSENSTANDPUNKT
 
 
 

Nach den Lehren von Marx, Engels und Lenin war die Menschheit in Klassen unterteilt. Die Arbeiterklasse war dabei die zahlen- mäßig stärkste und zur „historischen Mission“, nämlich der „Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung durch die Kapitalisten“ vorbestimmt. Dieser Grundsatz war selbstverständlich auch für die DDR, die sich als Staat der Arbeiterklasse und der Bauern ansah, ein sehr entscheidender, genau genommen sogar der alles entscheidende.

Obwohl es nach den marxistisch-leninistischen Theorien mehrere Klassen gab, bezog sich der Begriff „Klassenstandpunkt“ einzig und allein darauf, wie jeder einzelne diese „historische Mission“ in „Wort und Tat“ anerkannte und sie unterstützte. Sofern er das oft genug mit Worten, z.B. in Versammlungen, Parteilehrjahren und Diskussionen sowie mit Taten, ehrenamtliche Tätigkeit, Einsatz im Beruf usw., nachgewiesen hatte, konnte ihm in Beurteilungen ein Klassenstandpunkt bescheinigt werden. Das geschah meist in der Paarung mit den Worten „klar“, „fest“ oder „gefestigt“.

Jedem, der sich nicht selbst zum Gegner oder Feind des Staates DDR erklärt hatte oder von der Stasi als solcher eingestuft worden war, konnte es nicht egal sein, was über ihn in seinen Beurteilungen stand. Wollte man auch nur ein bisschen Karriere machen, musste die Kaderakte einfach „sauber“ sein. Das wussten natürlich auch die Beurteilungsschreiber und, sofern sie nicht zu den Hardlinern, wie wir heute sagen würden, gehörten, wollten sie dem zu Beurteilenden keine Steine in den Weg legen und bescheinigten im Prinzip jedem einen festen Klassenstand- punkt, auch wenn das im Sinne der Doktrin der DDR nicht der Fall war. Der Begriff „Klassenstandpunkt“ wurde somit zur Floskel.